Ausgrenzung beginnt dort, wo Diskriminierung gerechtfertigt wird – sei es aufgrund von Geschlecht, Alter, Ethnie, sexueller Orientierung oder Zugehörigkeit zu einer Spezies.
Was ist Speziesismus?
Wie Rassismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung ist auch Speziesismus ein diskriminierendes Denkmuster. In all diesen Diskriminierungsformen werden Lebewesen ausgeschlossen und benachteiligt, weil sie angeblich «anders» sind. Speziesismus basiert auf der fehlgeleiteten Annahme, dass eine bestimmte Spezies wichtiger sei als eine andere. Hierbei ziehen Menschen bestimmte Grenzen, um den Ausschluss oder die Ausbeutung von Tieren zu rechtfertigen, indem sie sich einen höheren Status als nicht-menschlichen Tiere zuschreiben. Dadurch werden nicht-menschliche Tiere – anders als Menschen – lediglich als Bekleidungsmaterial, Forschungsobjekte, Nahrung oder Spielzeug erachtet. Sie gelten bei der speziesistischen Denkweise als Gegenstände, die dazu da sind, die Wünsche des Menschen zu erfüllen – und dies nur, weil sie nicht der gleichen Spezies angehören und obgleich Tiere genau wie wir Schmerz, Hunger, Angst, Liebe, Freude und Einsamkeit empfinden und an ihrer Freiheit und ihrem Leben hängen.
Doch andere Tiere sind nicht einfach irgendwelche Gegenstände, die wir nach Gutdünken nutzen können. Es sind Individuen mit eigenen Interessen – genau wie Menschen. Um gegen unsere Vorurteile gegenüber anderen Spezies anzugehen, müssen wir nicht die gleichen Bedürfnisse haben oder genau gleich sein. Wir müssen anerkennen, dass wir alle Lebewesen mit Gefühlen, Gedanken und Wünschen sind. Niemand von uns sollte angekettet, ausgepeitscht, abgestochen oder dazu da sein, anderen zu dienen.
Wie äussert sich Speziesismus im Alltag?
Unsere Gesellschaft ist geprägt von Speziesismus: Allein in der Schweiz werden jedes Jahr über 76 Millionen Landtiere (Wasserbewohner nicht eingerechnet) getötet, damit Menschen sie essen können – das sind 2 Tiere pro Sekunde! [1] Auch in Tierversuchen, der Bekleidungsindustrie oder der Unterhaltungsbranche werden Tiere ausgebeutet. Speziesismus ist in unseren kulturellen Normen verankert – das zeigt sich auch in unserer Alltagssprache: Fühlende Lebewesen werden als «Nutztiere» kategorisiert. Redewendungen wie «mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen haben» normalisieren die Gewalt an Tieren.
Auch unser Konsum basiert darauf, Tiere auszubeuten und zu töten: Kühe werden geschwängert, doch ihre Babys werden ihnen weggenommen, damit der Mensch die für sie vorgesehene Milch trinken kann. Schweine, Hühner, Puten und andere Tiere werden auf engstem Raum eingepfercht und weit vor ihrer natürlichen Lebenserwartung für den menschlichen Verzehr getötet. Wir töten Tiere auch, um aus ihnen Kleidung herzustellen oder stellen sie zu unserer Unterhaltung aus, wie früher beispielsweise Menschen auf «Völkerschauen». Wildtieren nehmen wir den Lebensraum oder töten sie, weil wir sie als «Schädlinge» betrachten. Auch die Bezeichnung «Haustier» kategorisiert bestimmte Tiere gemessen an ihrem Nutzen, denn dadurch werden die Lebewesen als Besitz oder Sache gesehen. Der Begriff «tierischer Begleiter» hingegen drückt Wertschätzung aus.
Willkürliche Grenze zwischen «Haus-» und «Nutztieren»
Der Speziesismus unterscheidet nicht «nur» zwischen Menschen und anderen Tieren, sondern betrachtet auch die verschiedenen Tierarten unterschiedlich. Von klein an wird uns vermittelt, dass einige Tiere geliebt und umsorgt werden müssen, während andere weniger bedeutsam oder wertvoll sind. Die Unterscheidung beruht dabei allein auf willkürlichen Präferenzen des Menschen. Der Wert des Tieres für den Menschen entscheidet sich auch dadurch, welchen Nutzen es dem Menschen bringt. So sehen wir beispielsweise Hunde als Freunde an, während wir Kühe, Schweine oder Hühner töten.
Wird Ihnen nicht ganz anders, wenn Sie sich vorstellen, was dem Hund im Bild gleich angetan wird? Und möchten Sie nicht laut «Stopp!» schreien, bevor das Bolzenschussgerät das Gehirn des Tieres zertrümmert? Bei diesen Bildern verschwimmt die menschengemachte Grenze zwischen «Haus-» und «Nutztieren», um uns vor Augen zu führen, wie absurd diese Einteilung eigentlich ist. Schliesslich leiden alle Tiere gleich, und ob Schwein oder Hund – jedes Tier möchte unversehrt leben. Man würde einen Hund beispielsweise niemals in eine völlig überfüllte Halle mit anderen Hunden pferchen, wo er sein Leben lang auf dreckigem Betonboden in seinen Exkrementen fristen müsste. Doch genau das geschieht zum Beispiel mit Schweinen in der Tierwirtschaft – und dass, obwohl sie genau wie Hunde Angst, Schmerzen und Freude empfinden. Oftmals verurteilen wir Menschen aus anderen Kulturen, weil sie beispielsweise Hunde essen oder seltene Wildtiere jagen, vergessen jedoch allzu oft unsere eigenen Essgewohnheiten. Dabei ist unser Konsum von Tieren wie Schweinen, Kühen, Hühnern oder die Jagd auf Rehe nicht wirklich etwas anderes.
Speziesismus in anderen Bereichen
Auch in anderen Bereichen werden Tiere ausgebeutet und getötet, was bei anderen Tierarten unvorstellbar wäre. Mäntel, die mit Kojotenfell besetzt oder mit den Federn einer Gans gefüttert sind, die dieser bei lebendigem Leib aus der Haut gerissen wurden – kaum jemand würde es in Erwägung ziehen, einem schreienden Kätzchen die Haare auszureissen. Oder ein anderes Beispiel: Viele Tierheime veranstalten Spendentage für Hunde und Katzen, an denen sie ihren Gästen aber das Fleisch von Kühen, Hühnern oder Schweinen servieren. Berichte über misshandelte Hunde rühren Menschen zu Tränen, die gleichzeitig jedoch keine Reue empfinden, wenn sie einen Eimer Chicken Wings essen, für dessen Inhalt Vögel unsäglich leiden und gewaltsam sterben mussten. Viele Menschen werden zu Recht wütend, wenn ein Hund oder ein Baby in einem überhitzten Auto zurückgelassen wurde. Doch kaum jemand denkt an die Millionen Kühe, Schafe, Schweine und anderen Tiere, die im Sommer in brütender Hitze auf Transporten zum Schlachthaus sterben oder im Winter im Inneren eines LKW festfrieren.
Viele Menschen werden immer noch unterdrückt. Ist es da nicht einfach nur Luxusdenken, sich um Tiere zu sorgen?
Unterdrückung, Diskriminierung und Gewalt betreffen unterschiedlichste Menschen – aber eben nicht nur sie. Wenn wir uns eine gerechtere Welt wünschen, müssen wir gegen alle Vorurteile kämpfen – nicht nur jene, die uns persönlich betreffen. Es ist eine bestimmte Denkweise, die zur Unterdrückung von Lebewesen führt, seien es Muslime und Musliminnen, Frauen, Mitglieder der LGBTQIA+-Community, ältere Menschen oder Menschen, denen keine «weisse» Farbe zugeschrieben wird. Dieselbe Denkweise ermöglicht auch die Ausbeutung von Tieren. Vorurteile bilden sich, wenn wir glauben, dass «ich» besser bin als «du», dass «meine» Interessen aus irgendeinem Grund über denen der «anderen» stehen.
Der Philosoph Peter Singer machte in seinem bahnbrechenden Buch «Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere» viele Menschen auf das Konzept des Speziesismus und auf Tierrechte aufmerksam. Er erklärte, dass er sich nicht vorstellen könne, warum man eine Form von Vorurteilen und Unterdrückung ablehnen, eine andere aber akzeptieren – ja sogar unterstützen – sollte. Viel sinniger sei es doch tatsächlich, verschiedene Unterdrückungsstrukturen wie Rassismus und Speziesismus gleichermaßen abzulehnen. Oftmals hängen die verschiedenen Unterdrückungsformen auch zusammen. So bestätigen Kontrollberichte beispielsweise immer wieder aufs Neue, dass nicht nur Tiere, sondern auch Menschen in Schlachthöfen ausgebeutet werden.
Menschen, die sich für die Gleichwertigkeit von Tieren einsetzen, sind oft auch diejenigen, die sich für LGBTQIA+-Rechte, die Rechte von Menschen mit Behinderung, gegen Rassismus und andere Fragen der sozialen Gerechtigkeit stark machen. Diskriminierung ist falsch – egal, wer die Opfer sind. Werden wir selbst Zeugen solcher Ungerechtigkeit, müssen wir etwas dagegen unternehmen.
Wir alle wollen ein unversehrtes Leben führen
Bitte nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um auch Ihr Verhältnis zu den Tieren auf den Prüfstand zu stellen. Ob wir nun Federn, Fell, Haut oder Schuppen haben: Wir alle empfinden komplexe Gefühle wie Liebe, Trauer, Schmerz und Freude und wollen ein unversehrtes Leben führen. Wussten Sie beispielsweise, dass Elefanten und Schimpansen trauern und weinen, wenn ein Familienmitglied stirbt? Oder dass Kuhmütter kilometerweite Strecken zurücklegen, um ihre Babys wiederzufinden, die ihnen weggenommen wurden? War Ihnen klar, dass Schweine gerne Ball spielen oder Musik hören? Oder dass Orcas oft ein Leben lang mit ihrer Familie zusammenleben? Und dass Ratten Gefahren auf sich nehmen, um Artgenossen zu retten? Es ist falsch, dass diese faszinierenden Tiere gequält und getötet werden. Es ist falsch, wie es bei jedem Hund und jeder Katze falsch wäre. Und es ist an der Zeit, dass wir diesen Wahnsinn gemeinsam beenden.
Was kann also jeder einzelne von uns gegen Speziesismus tun?
Der erste Schritt liegt darin, anzuerkennen, dass jedes Tier das Recht auf ein Leben frei von Missbrauch und Tierquälerei durch den Menschen hat. Um etwas gegen Speziesismus zu unternehmen und die Rechte der Tiere anzuerkennen, müssen wir Tiere mit Respekt und Mitgefühl behandeln. Uns muss klar sein, dass sie eigene Interessen hegen und es verdient haben, frei von Leid und Schmerz zu leben. Wir müssen uns auch den Vorurteilen stellen, die es uns ermöglichen, die Augen vor dem unsagbaren Leid zu verschliessen. Diese Qualen finden tagtäglich in Versuchslaboren, Zirkussen, Schlachthäusern und anderswo statt, doch die meisten Menschen sehen einfach weg. Tiere müssen schlichtweg in Ruhe gelassen werden.
Jeder Einzelne kann mit alltäglichen Entscheidungen etwas gegen Speziesismus tun: indem man sich vegan ernährt, tierversuchsfreie Kosmetik und Haushaltsmittel verwendet, Kleidung aus tierfreien Materialien kauft und Zoos und Zirkusse meidet. Machen Sie sich bewusst, dass Tiere denken und fühlen, so wie wir – es fühlt sich gut an, aus alten Denkmustern auszubrechen und sich von der Ausbeutung von Tieren zu befreien.
WAS SIE TUN KÖNNEN
Helfen Sie mit, dem Irrglauben ein Ende zu setzen, dass eine Spezies wichtiger oder wertvoller sei als eine andere. Diese Anschauung ist in unserer Gesellschaft leider fest verankert und begründet den Grossteil allen Tiermissbrauchs. Kaufen Sie tierversuchsfreie Produkte, Kleidung aus tierfreien Materialen, ernähren Sie sich vegan, meiden Sie Zoos uns Zirkusse und klären Sie Ihr Umfeld über den Speziesismus auf.
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QUELLEN
[1] Proviande: Der Fleischmarkt im Überblick 2019, https://www.proviande.ch/sites/proviande/files/2020-05/Der%20Fleischmarkt%20im%20%C3%9Cberblick%20-%20Aktuelle%20Ausgabe.pdf, (eingesehen am 29.09.2020)