Seide: So leiden Raupen für die Herstellung von Seide

In der Textilindustrie werden zur Herstellung von Seide jährlich etwa 1,6 Billionen verpuppte Seidenraupen bei lebendigem Leib in kochendem Wasser verbrüht. In diesem Beitrag erfahren Sie alles über die grausame Herstellung von Seide und die tierfreundlichen Alternativen, die es heute gibt.

Inhaltsverzeichnis:

Wie wird Seide hergestellt?

Seide wird in kleinen Drüsen im Mund des Seidenspinners produziert. Es ist eine tierische Faser, die hauptsächlich aus Proteinen besteht. Die Raupe umwickelt sich darin und bildet so einen schützenden Kokon um ihren Körper. Eigentlich würde sie sich anschliessend verpuppen und in einen Schmetterling verwandeln.

Vor über 5.000 Jahren wurde die Seidenraupe in China domestiziert, damit sie wirtschaftlich genutzt werden kann. [1] Daraus entstanden ist der Maulbeerspinner Bombyx mori, der diesen Namen seiner Vorliebe für Maulbeerblätter verdankt. Bombyx mori wurde auf Hochleistung gezüchtet und ist in der Natur nicht überlebensfähig, da er selbst auf kleinste Veränderungen wie Temperaturschwankungen sehr empfindlich reagiert. [2]

Zudem wurde den Tieren die Flugfähigkeit weggezüchtet, um sie besser kontrollieren zu können. Wie überall in der Tierwirtschaft führt auch in der Seidenindustrie die Haltung vieler Tiere auf engstem Raum dazu, dass sich Krankheiten schnell ausbreiten können. So sind Seidenspinner sehr anfällig für parasitäre Erkrankungen. Abhängig von Produktionsland und Jahreszeit sterben zwischen 10 und 47 Prozent infolge von Krankheiten. [3] Stark verbreitet sind die bakterielle Infektion Flacherie, bei der das Darmgewebe der Tiere zerstört wird, die Virusinfektion Grasserie und Pilzerkrankungen. [3] Meist werden die Tiere über mehrere Tage hinweg immer schwächer, bis sie letztlich sterben.

Kokon einer Seidenraupe

In welchen Ländern wird Seide produziert?

Die meisten Seidenraupen werden in China, Indien und Usbekistan gezüchtet. [4] Nachdem die Tiere getötet wurden, werden die Seidenfäden von Hand oder maschinell zu einem Garn aufgerollt, gereinigt, von den natürlichen Kleberesten der Tiere befreit. Dann wird die Seide gefärbt, bearbeitet und schliesslich als Bekleidung, Accessoires oder Teppiche weltweit verkauft. Die Herstellung von Seide kostet jährlich 1,6 Billionen Raupen das Leben, macht aber nur 0,2 Prozent aller Textilfasern aus. [4] 

Leiden Tiere für die Produktion von Seide?

Wie alle Schmetterlinge durchlebt der Seidenspinner in Freiheit die Metamorphose vom Ei zur Raupe und über die Puppe zum geschlüpften Nachtfalter. In der Seidenindustrie kommt es aber nicht dazu. Um die Kokons unbeschädigt «ernten» zu können, werden die Tiere noch in der Puppenphase getötet. Beim Schlüpfen verursachen sie mithilfe eines Enzyms nämlich ein Loch im eigentlich endlosen Seidenfaden, was den Handelswert der Seide stark reduziert und die Qualität verschlechtert. Damit es nicht dazu kommt, werden die Kokons mitsamt den lebenden Puppen in kochendes Wasser geworfen oder anderen Hitzequellen ausgesetzt, bis sie sterben. Hierbei kann beobachtet werden, wie die Tiere aufgeregt in ihren Kokons herumkriechen und versuchen, der tödlichen Hitze zu entkommen.

Damit der Produktionszyklus weitergehen kann, werden nicht alle Seidenraupen getötet; einige wenige dürfen aus ihren Kokons schlüpfen, damit sie sich paaren und neue Eier legen können. Zur Qualitätskontrolle werden weibliche Zuchttiere und ein Teil ihrer Eiablage lebendig geschreddert und unter dem Mikroskop auf Krankheiten untersucht. Lassen sich in der Probe Krankheiten nachweisen, werden alle Eier mitsamt den darin befindlichen Tieren zerstört. Je nach Seidenspinnerart werden männliche Tiere zur Zucht oder auch ganze Gelege in Kühltruhen aufbewahrt und lediglich zur Befruchtung oder zum Schlüpfen aus den Behältern befreit. Sind die Bedingungen nicht optimal, können die Tiere sterben. Sobald «Zuchttiere» nicht mehr «leistungsfähig» sind, werden sie nach der Vermehrung wie Müll entsorgt. [3, 5, 6]

Für 1 Gramm Seide müssen etwa 15 Tiere ihr Leben lassen. [7] Bei einer globalen Produktion von 109’111 Tonnen Seide (Stand 2019) werden mehr als 1,6 Billionen Raupen getötet. [4] Zusätzlich werden jedes Jahr viele weitere Billionen Tiere Opfer der Seidenindustrie; sie werden statistisch jedoch nicht erfasst, da ihre Kokons aufgrund mangelnder Qualität nicht verarbeitet werden oder sie bereits vor der Kokonbildung durch Krankheiten getötet werden.

Kokons der Seidenraupe werden gekocht

So viel Tierleid steckt hinter Ahimsa-Seide und Peace Silk

Damit Konsument:innen mit gutem Gewissen Seide kaufen, vermarktet eine zunehmende Zahl an Unternehmen sogenannte Ahimsa-Seide bzw. Peace Silk. Ahimsa stammt aus dem indischen Sprachraum und bedeutet «Gewaltlosigkeit». Die Produktionsbetriebe versprechen, dass für Ahimsa-Seide keine Tiere getötet werden, doch tierleidfrei ist diese Art der Seidenproduktion nicht.

Auch für Ahimsa-Seide wird überwiegend auf die Qualzucht Bombyx Mori zurückgegriffen. Da diese Tiere in der Regel nicht überlebensfähig sind, ist anzunehmen, dass auch die geschlüpften Tiere rasch sterben. So berichtet die Tierrechtsorganisation Beauty Without Cruelty nach dem Besuch eines Seidenraupenzuchtverbands in Indien, dass die für Ahimsa-Seide geschlüpften Seidenspinner aufgrund von Überzüchtung erwartungsgemäss flugunfähig waren und umgehend starben. Wie in der Seidenindustrie üblich, wurden die Muttertiere zudem getötet und auf Erkrankungen untersucht; bei positivem Befund wurden alle von ihnen gelegten Eier mit ihrem Nachwuchs ebenfalls getötet und entsorgt. [6]

Auch bei der Produktion von «Peace Silk» leiden viele Tiere bereits vor der Tötung im Kokon zuchtbedingt an Erkrankungen, die letztendlich zu ihrem Tod führen. Tierfreundliche Seide gibt es nicht – daran ändern auch Marketing-Begriffe wie Peace Silk, Ahimsa-Seide oder Wildseide nichts. Auch hierfür werden Tiere in Massen gezüchtet, ausgebeutet und getötet.

Ist Wildseide eine tierfreundliche Alternative?

Der Unterschied zwischen Wildseide und konventioneller Seide liegt darin, dass für Wildseide keine domestizierten Tiere wie Bombyx Mori oder der Eri-Seidenspinner Samia ricinii verwendet werden. Stattdessen werden Wildtiere ausgebeutet. [16] Auch bei Wildseide handelt es sich in den meisten Fällen um eine Form der «Massentierhaltung», die lediglich im Freiland stattfindet.

Da der Begriff nicht geschützt ist, wird er häufig für Werbezwecke missbraucht oder falsch verwendet. Teilweise wird Wildseide sogar mit Ahimsa-Seide gleichgesetzt, obwohl die Seidenspinner für klassische Wildseide ebenfalls in ihrem Kokon getötet oder von Menschen gegessen werden. Wildseide kann lediglich Ahimsa sein. Frei von Tierleid ist sie dadurch aber noch lange nicht.

Seidenraupen liegen zwischen Blaettern

Die Seidenproduktion schadet Natur und Umwelt

Da sich der Seidenspinner Bombyx Mori hauptsächlich von Maulbeerblättern ernährt, braucht es sehr viele Maulbeerbäume, um die grosse Menge an Tieren zu ernähren. Die Gewächse verbrauchen grosse Mengen an Wasser und werden oftmals mit Pestiziden behandelt. Dies hat einen negativen Einfluss auf das Ökosystem, da die giftigen Chemikalien u. a. in den Boden und in Gewässer gelangen. [11] Der Einsatz derartiger Umweltgifte bedroht zudem die Artenvielfalt stark – von Insekten bis hin zu Säugetieren. [12] Auch die Seidenspinner selbst können sterben, wenn sie mit stark pestizidbelasteten Maulbeerblättern ernährt oder anderweitig damit in Kontakt gebracht werden. [13]

Wenn viele Tiere auf engstem Raum gehalten werden, können sich Krankheiten rasant verbreiten. Das ist bei der Zucht von Insekten nicht anders als bei Wirbeltieren wie Schweinen oder Hühnern. Um dem hohen Krankheitsdruck in der Tierzucht entgegenzuwirken und die Qualität der Kokons nicht zu beeinflussen, werden in der Seidenproduktion neben riesigen Mengen an Desinfektionsmitteln immer öfter auch Antibiotika eingesetzt. Dies verschärft die Entwicklung antibiotikaresistenter Keime in der Human- und Tiermedizin und bedroht die öffentliche Gesundheit. [3,14]

Bei der Reinigung und Verarbeitung der Seide, wie dem Bleichen oder Färben, kommen weitere Chemikalien sowie grosse Mengen an Wasser zum Einsatz. Um nur 1 kg Seide zu reinigen, werden etwa 100 l Wasser verbraucht – insbesondere, um den Seidenfaden mithilfe von Tensiden von den «Leimresten» (Serizin) zu befreien, die den Kokon zusammenhalten. [15]

Die Herstellung von tierischer Seide beruht auf einer speziesistischen Denkweise

Ob und auf welche Weise wirbellose Tiere wie Raupen und Schmetterlinge Schmerz empfinden, ist noch nicht umfassend erforscht. Bekannt ist jedoch, dass einige Insekten schmerzvermeidendes Verhalten zeigen und negativen Reizen ausweichen. [8, 9] Auch dem Hummer wurde lange Zeit das Schmerzempfinden abgesprochen. Heute wissen wir jedoch, dass die Tiere es unverkennbar spüren, wenn sie lebend in kochendes Wasser gesetzt werden. Daher müssen Hummer in der Schweiz seit 2018 betäubt werden, bevor sie in den Kochtopf gegeben werden. [10] Es ist unsere Verantwortung, auch den Seidenspinner vor Leid, Schmerz und Tod zu schützen.

Die Herstellung von Seide ist nicht nur Tierquälerei, sondern beruht auch auf einer speziesistischen Denkweise. Wir beuten die Tiere aus und töten sie zu Abermillionen, obwohl wir für unsere Bekleidung nicht auf Seide angewiesen sind. Würde man Katzen bei lebendigem Leib kochen, wäre der Aufschrei gross. Bei Raupen hingegen lässt diese qualvolle Behandlung die meisten Menschen kalt, denn die Tiere können nicht mit menschlichen Lauten schreien. Ausserdem ist uns ihre Gefühlswelt bislang nur wenig bekannt.

Person haelt Seidenkokons in den Fingern

Die Diskriminierungsform des Speziesismus muss für immer aus unseren Köpfen verschwinden, um das Leid aller Tiere zu beenden.

Tierfreundliche Alternativen zu Seide

Wer den Seidenspinnern helfen möchte, kann auf eine Reihe pflanzlicher und synthetischer Seidenalternativen zurückgreifen:

  • Mikrofasen wie Nylon oder Polyester, die fast alle Modeunternehmen anbieten, imitieren den Glanz von Seide perfekt.
  • Pima-Baumwolle ist besonders fein und weist eine schimmernde Oberfläche auf.
  • Agavenfasern, Kapok und Sojaseide lassen sich zu zarten Stoffen verarbeiten.
  • Umweltschonende Lyocellfasern wie Modal oder Tencel fühlen sich auf der Haut leicht und weich an. 

Im Gegensatz zu tierischen Fasern locken diese Materialien auch keine Kleidermotten und Teppichkäfer an, die sich von den Eiweissfasern der Seide ernähren und die Textilien durchlöchern.

Durch biotechnologische Verfahren ist sogar die Imitation des Seidenproteins möglich. Amsilk [17], Bolt Threads [18] und Spiber [19] sind Unternehmen, die Seidenprotein aus Hefezellen oder Bakterien herstellen und damit die Eigenschaften tierischer Seide kopieren. Das daraus entstehende Seidengarn ist nicht nur für Kleidung, sondern auch für medizinische Zwecke geeignet und in vielen weiteren Bereichen einsetzbar. [20] Diese Verfahren sind komplett tierfrei und können vielen Billionen Seidenspinnern das Leben retten.

Für unsere Bekleidung und für Accessoires müssen wir keine Tiere ausbeuten. Mit dem Kauf tierfreier Alternativen zu Seide unterstützen wir die grausamen Praktiken der Seidenindustrie nicht länger.

Was Sie tun können

Entscheiden Sie sich für tierfreundliche Materialien – denn so können Sie sicher sein, dass für die Herstellung kein Tier leiden musste. Viele Seidenalternativen unterscheiden sich optisch übrigens kaum von tierischen Materialien. Klären Sie auch Ihre Mitmenschen über die Qualen der Tiere auf.